Freude am Schach

„Freude am Schach“, so hieß mein erstes Schachbuch. Es war eine ganz neue Welt, eine ganz eigenartige und faszinierende Welt, in die ich da eintauchte. Faszinierend und geheimnisvoll zugleich zog sie mich in ihren Bann, damals, vor gut fünfzig Jahren, als ich das Spiel, das sich das königliche nannte, im Alter von fünfzehn Jahren erlernte. In einer Schulschach AG begann es und bald darauf ging es mir wie wohl vielen, die, von Begeisterung getragen, sich tief hineinversenken in dieses kleine Universum. Ich trat einem Verein bei … Ein besonderes Erlebnis für mich war in dieser Zeit, bei den Dortmunder Schachtagen vielen Großmeistern live zuschauen zu können und dieses spezielle Flair zu spüren, diese besondere Atmosphäre. Oder Garri Kasparov dort zu erleben, als er dort die Jugendweltmeisterschaft gewann. Und einer der vielen Konkurrenten um diesen Titel war Nigel Short. Der hatte einen ganz besonderen Sekundanten: Den englischen Großmeister John Nunn. Die beiden erlebte ich bei herrlichem sommerlichem Wetter draußen vor dem Turniersaal und John Nunn gönnte seinem Schützling eine ganz spezielle Trainingseinheit, indem er ihm Endspielstudien vorsetzte und ihm einschärfte, damit müsse er sich unbedingt beschäftigen, wenn er seine Kreativität entwickeln wolle. Das mitzuerleben hat mich damals ganz besonders fasziniert.

Damals gab es, anders als heute, keine Lehrvideos, um schneller zu lernen, auch keine Computer, um sich deren Bewertungen und Zugfolgen vorspielen zu lassen. Das eigene Analysieren hatte einen hohen Stellenwert und irgendwie war man näher dran am unergründlichen Geheimnis des Schachs. Denn seien wir ehrlich: Letztlich überfordert uns die Komplexität dieses Spiels alle, vom Anfänger bis zum Weltmeister. Niemand kann perfekt spielen – und das macht paradoxerweise und wunderbarerweise das Spiel umso faszinierender.

Der wirkliche Reichtum, den uns dieses Spiel schenken kann, liegt jenseits persönlicher Performance, jenseits von schmückendem Beiwerk wie einer DWZ oder Elozahl, die mit 2 beginnt … Der wirkliche Reichtum ist das Geschenk, verbunden zu sein mit anderen, den Flow zu erleben, wenn wir uns gegenübersitzen und eintauchen in diese faszinierende Welt von Schönheit. Und wenn es uns gelingt, dieses Erleben zu teilen, anstatt dem Wettbewerbscharakter dieses Spiels allzu großen Raum zu geben, dann kann Gemeinschaft entstehen, Verbundenheit und das Erleben schöpferischer Momente, …

Vor ein paar Wochen erinnerte ich mich, einmal das Vorwort von Albert Einstein zu einer Schachbiografie gelesen zu haben (Jacques Hannak: „Emanuel Lasker: Biographie eines Schachweltmeisters“). Das hab ich dann recherchiert und fand bemerkenswert, dass Einstein, der Lasker persönlich kannte und vor dem er großen Respekt hatte, auf einen Punkt hinwies, den wir alle meist leicht übersehen, Clubspieler genauso wie Profischachspieler. In dem kleinen Abschnitt dieses Vorwortes, den ich meine, sagt Albert Einstein Folgendes.

„Für mich hatte diese Persönlichkeit, trotz ihrer im Grunde lebensbejahenden Einstellung, eine tragische Note. Die ungeheure geistige Spannkraft, ohne welche keiner ein Schachspieler sein kann, war so mit dem Schachspiel verwoben, dass er den Geist dieses Spieles nie ganz loswerden konnte, auch wenn er sich mit philosophischen und menschlichen Problemen beschäftigte. Dabei schien es mir, dass das Schach für ihn mehr Beruf als eigentliches Ziel seines Lebens war. Sein eigentliches Sehnen schien auf das wissenschaftliche Begreifen und auf jene Schönheit gerichtet, die den logischen Schöpfungen eigen ist; eine Schönheit, deren Zauberkreis keiner entrinnen kann, dem sie einmal irgendwo aufgegangen ist. Spinozas materielle Existenz und Unabhängigkeit war auf das Schleifen von Linsen begründet; entsprechend war die Rolle des Schachspieles in Laskers Leben. Spinoza aber war das bessere Los beschieden, denn sein Geschäft ließ den Geist frei und unbeschwert, während das Schachspielen eines Meisters diesen in seinen Banden hält, den Geist fesselt und in gewisser Weise formt, so dass die innere Freiheit und Unbefangenheit auch des Stärksten darunter leiden muss. Dies fühlte ich in unseren Gesprächen und beim Lesen seiner philosophischen Bücher immer durch.“

Heißt im Klartext: Ab einem bestimmten Niveau führt das Schach mehr zu Trennung als zu Verbindung, mehr zu Konkurrenz als zu einer Leichtigkeit des Miteinanders, mehr zu Anspannung und Verspannung als zum Genießen in fröhlicher Runde.

Und so begleitet mich heute, wo ich nach gut vierzig Jahren Schachabstinenz wieder behutsame Schritte in die Welt der 64 Felder tue, die Vorstellung, es wäre doch ganz wunderbar, Schach in einer besonderen Atmosphäre spielen zu können. In einem Wiener Caféhaus zum Beispiel Doch wo wäre so etwas zu finden, hier bei uns in Düsseldorf? Ein wenig neidisch blicke ich in unser Nachbarland Österreich, wo sich eine Gruppe von Frauen regelmäßig im Café Schopenhauer trifft. „Frau Schach“ nennt sich diese Gruppe und da sind nur Frauen zugelassen. Man trifft sich im Café und spielt Schach, freut sich miteinander, der Raum weitet sich …

Ob es möglich ist, ein wenig in diese Richtung zu gehen, hier, in Düsseldorf, im Werstener Schachclub? So dass wir offen sind füreinander, uns als Menschen begegnen, uns freuen an der gemeinsam geteilten Faszination für das Schach, auf das stets neue Eintauchen in ein kleines Abenteuer, das sich entfaltet, wenn wir etwas erschaffen in Co-Kreativität. Und wenn Gewinn und Verlust gar nicht mehr so wichtig sind, weil wir uns davon begeistern lassen, was sich vor unseren Augen abspielt, wenn wir einerseits Spieler und Spielerinnen sind, die aktiv mitwirken an dem, was sich vor unseren Augen entfaltet und zugleich Teilnehmende an einem größeren Ganzen.

So, und nach dieser Vorrede – sie war mir sehr wichtig – möchte ich allen, die es interessiert oder die sich gar dafür begeistern können, ein kleines schachliches Wunder vorführen. Eine Endspielstudie, ein wahres Meisterwerk, wie man es nicht alle Tage zu sehen bekommt. Ich wünsche allen Freude und Gewinn dabei:

Die in Diagramm 1 zu sehende Endspielstudie wurde komponiert von Leopold Mitrofanov und stammt aus dem Jahre 1971. Die Aufgabe lautet: „Weiß zieht und gewinnt“.

Diagramm 1: Ausgangsstellung: Weiß zieht und gewinnt

Schauen wir mal rein in die Stellung. Weiß hat eine Handvoll Bauern. Einer davon, der g- Bauer, ist schon ganz nah an seinem Umwandlungsfeld. Aber Schwarz hat einen großen Trumpf mit seinem Bauern auf h2. Der kann schon mit seinem nächsten Zug zur Dame werden und sich dann auf den weißen König stürzen. Probieren wir mal schnell als ersten Zug 1.g7, dann sehen wir, dass Schwarz, noch bevor er seinen h-Bauern zur Dame zieht, erst mal das Zwischenschach 1.- Lc7+ gibt. Damit wird der weiße König abgedrängt und Weiß ist übel dran. An Gewinn ist dann nicht mehr zu denken.

Das bringt uns darauf, erst mal mit 1.b6+ anzufangen. Schwarz antwortet mit 1…Ka8! (Diagramm 2) Das ist ein guter Zug, weil er das Feld b8 für den schwarzen Läufer freilässt, der dorthin ziehen kann, sollte Weiß später einmal seinen g-Bauern mit Schach in eine Dame verwandeln. Soweit so gut.

Diagramm 2

Aber wie weiter? Gucken wir mal, was passiert, wenn wir unseren g-Bauern verwandeln. Klar, Schwarz bekommt dann sofort eine Dame, aber Weiß einen Zug später auch, sogar mit Schach, und wir wollen einfach mal sehen, was dann passiert.

Wir spielen also 2.g7 h1D 3.g8D+ Lb8 4.Txe5 Da1+ 5.Kb5 Db2+ 6.Kc6 (mit 6.Kc4 in die untere Bretthälfte zu laufen klappt nicht, Schwarz zieht einfach 6.- Dc2+ 7.Kd4 Dd2+) 6…Dc3+ 7.Kd7 Dxe5 8.Dxg2 Dd6+ 9.Ke8 De5+ 10.Kf7 Dxh5+ und merken: Nö, so geht´s nicht. Weiß kommt aus dem Dauerschach nicht raus.

Was aber dann? Mit unseren Bauern an Damenflügel kommen wir nicht weiter, weil die ohne Unterstützung durch den König nichts anstellen können. Wenn wir 2.b7+ probieren, zieht Schwarz einfach 2.- Ka7 und es geht nicht weiter. Der weiße König kommt nicht voran, der weiße Turm kann den b-Bauern auch nicht unterstützen, daran hindert ihn der schwarze Läufer. Kann denn der weiße Turm weiterhelfen? Aber wie? Die Felder c4 und f4 werden von den schwarzen Springern kontrolliert. Der Turm kann also nicht mal eben auf die achte Reihe kommen. Über andere Linien klappt das auch nicht, weil ihm dort die eigenen Bauern den Weg verstellen.

Wir sind erst mal ratlos. Und das ist zugleich ein schöner Moment. Denn nun ist unsere Kreativität gefragt. Und die schlägt uns plötzlich vor – wir wissen selber nicht genau warum: Wenn gar nix geht, probier doch einmal etwas völlig Verrücktes und schau, was dabei rauskommt, auch wenn Du´s vielleicht erst viel später verstehst. Und wir spielen 2. Te1! (Diagramm 3),das verhindert zumindest, dass Schwarz sich mit seinem nächsten Zug auf h1 eine Dame holt.

Diagramm 3

Schwarz kann nun den kecken Turm einfach wegschlagen. Dann haben wir nur noch unsere paar Bauern und Schwarz droht immer noch, sich im nächsten Zug eine Dame zu holen. Dazu kommt, dass der weiße Turm die vierte Reihe verlassen hat, so dass Schwarz mit seinem Springer auf c4 Schach bieten könnte – weiß Gott wo das hinführen würde. Aber unsere Intuition sagt: Schach ist so ein wunderbar komplexes Spiel, lass Dich mal überraschen …

Nehmen wir uns also erst mal die Hauptvariante vor: Schwarz schlägt einfach unsern Turm weg:

2…Sxe1 (Diagramm 4)

Diagramm 4

Jetzt hat Schwarz drei Figuren auf dem Brett und droht immer noch mit 3.- h1D. Was hat uns also das paradox anmutende Turmopfer eingebracht? „Aaah!“, merken wir plötzlich, indem wir uns daran erinnern, wie wir vorhin mit 1.g7? losgeprescht sind und uns dann aber die schwarze Dame alles vermasselt hat, weil sie von a1 aus unseren König mit Schachgeboten übers Feld vor sich hergetrieben hat. Das geht ja jetzt gar nicht mehr, dämmert es uns. Der schwarze Springer auf e1 versperrt seiner Dame den Weg.

Also auf, los geht´s mit unserem g-Bauern. Ist es jetzt nicht simpel für uns gewonnen? Und wir fahren fort mit 3.g7 h1D!

Das ist die beste Verteidigung für Schwarz! Eine schöne Variante entsteht, wenn Schwarz, bevor er sich eine Dame holt, erst mal ein Zwischenschach mit seinem Springer gibt, denn dann haben wir ein forciertes Mat in petto: 3…Sc4+ 4.Kb5 h1D 5.g8D+ Lb8 6.a7 Sa3+ 7.Kc6 Dh2 8.axb8D+ Dxb8 9.b7+ Ka7 10.Dg1+ Ka6 11.Db6# Wie wunderbar!

Weiter mit unserer Hauptvariante: 4.g8D+ Lb8 und nun setzen wir Schwarz mit 5.a7! gehörig unter Druck (Diagramm 5).

Diagramm 5

Weiß droht Matt im nächsten Zug auf b8 und Schwarz kann das nur verhindern, indem er seinen Läufer mit seinem Springer deckt. Aber wie?

5.- Sd7 klappt nicht, denn nach 6.De6! hat Schwarz keine Verteidigung:

  • Nach 6. Sc5 folgt 7.axb8D+ Kxb8 8.De8+ Kb7 9.Dc6+ Kb8 10. Dc7+ Ka8 11.Da7 matt.
  • Und nach 6.- Se5 folgt 7.axb8D+ Kxb8 8.Dxe5+ Ka8 9.De8+ Kb7 10.Dd7+ nebst Matt.

Damit bleibt nur, den Springer nach c6 zu ziehen, auch wenn der Springer dort geschlagen werden kann:

5.- Sc6+! 6.dxc6 (Nur so, denn 6.Kb5? wäre schlecht wegen 6.- Sxa7+ 7.bxa7 Df1+ 8.Ka5 Kxa7)

Jetzt sieht es plötzlich so richtig bedrohlich aus für Schwarz (Diagramm 6):

Diagramm 6

Aber nun hat Schwarz eine schöne Ressource, denn die fünfte Reihe ist leergefegt und Schwarz kann mit seiner Dame Schach geben: 6…Dxh5+! (Diagramm 7)

Diagramm 7

Was nun? Kommt der weiße König nun aus dem Dauerschach heraus? Nach 7. Ka6 8. De2+ Ka5 9. Dd2+ Kb5 10. Db2+ Kc5 11. Dc3+ usw. ganz und gar nicht. Nach 7.- Ka4 8. Dd1+ usw. auch nicht. Und nach 7.- Kb4 8.Sc2+ auch nicht (abgesehen von kleinen witzigen Zugfolgen wie 8.- Kb3 9.Sa1+ Kb2 10.De2+ Kxa1 11.Db2+ Kxb2 patt).

War also alles umsonst. Ist für Weiß am Ende doch nicht mehr drin als ein Remis? Doch da ist wieder unsere Intuition, diesmal mit einem fulminanten Damenopfer:

7.Dg5!!! Drei Ausrufezeichen!. Ein Zug wie von einem anderen Stern (Diagramm 8). Vielleicht sollten wir besser ein paar Sterne hinter den Zug setzen anstatt Ausrufezeichen. Wow!-Sterne!

Diagramm 8

Ein Zug, der die Dame herschenkt, ein Zug, der außerdem die weiße Drohung auf der achten Reihe, also mit Dxb8 matt zu setzen, aufgibt, und die weiße Dame wird auch noch mit Schach weggeschlagen:

7…Dxg5+ Steht Weiß nun blank da? (Diagramm 9)

Diagramm 9

Weiß steht im Schach. Und er hat nur noch drei Bauern, während Schwarz Dame, Läufer und Springer hat. Und da soll Weiß noch gewinnen?

Doch nun hat sich etwas Entscheidendes verändert dank der wunderbaren Geometrie auf dem Schachbrett. Weiß kann nun mit seinem König nach a6 und Schwarz kann nicht mehr von e2 aus Schach bieten.

Also 8.Ka6 mit der Drohung b7 matt. Doch Schwarz hat ja sooo viel Material und opfert jetzt einfach seinen Läufer: 8.- Lxa7 (Diagramm 10)

Diagramm 10

Doch mit seinem nächsten Zug stellt Weiß, obwohl er nur zwei Bauern hat und Schwarz immer noch drei starke Figuren, zwei Mattdrohungen zugleich auf, und jetzt sehen wir: Schwarz hat Probleme, die er nicht mehr lösen kann.

Weiß zieht 9.c7! (Diagramm 11) und es droht b7 matt und c8D matt.

Diagramm 11

Nun hilft 9.- Lxb6 hilft nicht, denn es folgt 10. c8D matt und 9…Dd5 hilft auch nicht, denn es folgt 10.c8D+ Lb8 11.b7+ Dxb7+ 12.Dxb7 matt.

Schwarz kann nur noch versuchen, nun seinerseits seine Dame auf a5 zu opfern, um den weißen König wegzulenken, um sich so aus der Schlinge zu ziehen. Er geht also weiter mit

9. Da5+ 10.Kxa5 (Diagramm 12)

Diagramm 12

Und nun würde Schwarz am liebsten10…Lxb6+ 11.Kxb6 folgen lassen. Das wäre eine schöne Pattkombination, stünde da nicht noch sein schwarzer Springer auf e1. Ohne diesen Springer wäre es patt, und Schwarz wäre noch einmal davongekommen. Und plötzlich erkennen wir die Tiefe des Zuges 2.Te1, dieses wunderbaren Turmopfers, das den schwarzen Springer auf das Feld e1 lenkte. Denn dort erfüllte der Springer gleich eine dreifache Mission. Er verstellte seiner Dame den Weg nach a1, von wo aus sie dem weißen König hätte Schach bieten können, er blockierte zugleich das Feld e1, von wo aus sie dem weißen König ebenfalls hätte Schach bieten können – und als Sahnehäubchen war ganz zum Schluss sein pures Vorhandensein im Wege, denn gäbe es ihn nicht, wäre für Schwarz ein Patt drin gewesen.

Ergreift uns da nicht ein tiefes Staunen über die Tiefe unseres königlichen Spiels? Gerade jetzt, wo wir aus der Retrospektive erkennen, wie das ganze Netzwerk von Zugfolgen ganz wunderbar gestrickt ist?

Nun sind wir auf der Zielgeraden angelangt. Die Pattkombination geht nicht, darum probiert Schwarz noch

10.- Kb7 doch nach 11.bxa7 (Diagramm 13)

Diagramm 13

sieht jedes Kind, dass es vorbei ist. Was Schwarz auch immer zieht, einer der beiden weißen Bauern wird zur Dame. Und das Endspiel Dame gegen Springer ist für Schwarz natürlich völlig chancenlos und elementar gewonnen. Weiß hat es also in der Tat geschafft. Die Forderung der Ausgangsstellung: „Weiß zieht und gewinnt“, war kein Druckfehler.

Jetzt möchte ich alle Liebhaber und Liebhaberinnen des Schachs einladen, das Ganze noch einmal – gern auch mehrere Male – langsam, Zug für Zug genießend, durchzuspielen und zu verinnerlichen, um pure Freude zu genießen.

Und wer dann noch Lust hat, der kann sich anschauen, was passiert, wenn Schwarz auf das Turmopfer 2.Te1 nicht mit 2.- Sxe1 antwortet, sondern mit 2…Sc4+ loslegt (Diagramm 14).

Diagramm 14

Auch das ist sehenswert.

Weiß hat als Antwort natürlich nur 3.Kb5 (3.Ka4 wäre wegen 3.- Sxb6+ ein grober Fehler) und danach hätten wir folgende Stellung auf dem Brett (Diagramm 15):

Diagramm 15

Schauen wir uns drei Varianten an:

  • 3.- Sxb6 4.g7 mit Gewinn
  • 3.-.Le5 4.h6 Sxe1 (4…Sa3+ 5.Kc6)5.g7 h1D 6.g8D+ Lb8 7.a7 Sd6 8. Kc6 mit Gewinn
  • 3.- Sxe1 4.g7 h1D 5.g8D+ Lb8 6.a7 Dh2 (auf 6…Sa3+ käme die forcierte Zugfolge 7.Kc6 Dh2 8.axb8D+ Dxb8 9.b7+ Ka7 10.Dg1+ Ka6 11.Db6 matt) 7.axb8D+ Dxb8 8.Dxb8+ Kxb8 9.Kxc4 Sf3 10.d6 Kc8 11.h6 Sg5 12.Kb5 mit Gewinn

Das sind natürlich „nur“ Nebenvarianten. Mit der oben gezeigten Hauptvariante, die das eigentliche Thema der Endspielstudie darstellt, haben die gar nix zu tun. Aber sie müssen eben zeigen, dass Schwarz auch auf diese Weise keinen Ausweg hat.


Grandios, diese Studie, oder? Und sie stammt aus dem Jahre 1971, da gab es noch keine Computer, die dem Komponisten hilfreich zur Seite hätten stehen können.


Und ich meine: Es tut uns auch heute noch gut, wenn wir nach ein paar Minuten, wo wir uns längst noch nicht mit den Feinheiten der Stellung vertraut gemacht haben, und wo wir ganz sicher noch keinen Schimmer davon haben, wie die Lösung der Endspielstudie ausschauen könnte, nicht der Versuchung nachgeben, die Lösung sofort nachzuschlagen oder ein elektronisches Biest die Aufgabe lösen zu lassen. Wenn wir vielmehr den vollen Genuss und das volle Hochgefühl verspüren, das sich dann einstellt, wenn wir einen langen Weg gegangen sind. So wie es ja auch einen immensen Unterschied macht, ob wir nach langer und durchaus auch anstrengender Wanderung einen Berggipfel erreicht haben und dann mit diesem unglaublichen Wow!-Gefühl auf die Welt blicken. Was sich ganz und gar nicht einstellen will, wenn wir mit der Seilbahn oder dem Hubschrauber auf den Gipfel gelangt wären.


Mit den besten schachlichen Grüßen, Gilbert Schenker